Eva von Rossen

Eva von Rossen wird 1921 in Hildesheim geboren und stirbt 2010 in Landsberg am Lech. Schon früh benutzt sie Pinsel und Feder als Ausdrucksmittel, um Geschichten zu erzählen, über sich und die Menschen, ihre kleinen Schwächen und großen Träume - eine Leidenschaft, die sie bis zum Ende ihres Lebens pflegt.

Künstlerkind

Eva ist das einzige Kind eines Künstlerpaares. Ihr Vater Felix Otto von Rossen ist Maler, ihre Mutter Elfriede eine begabte Zeichnerin, die Stoffmuster entwirft. Von beiden erbt sie die künstlerische Gabe und die erhaltenen Zeichnungen aus Kindertagen belegen, dass Eva schon mit zwölf Jahren zeichnet wie eine Erwachsene. Außer der Liebe zur Kunst gibt es eine andere Besonderheit im Hause der Rossens in Hildesheim. Die Eltern sind Freidenker und lassen ihre Tochter nicht taufen. Da sie von einer christlichen Erziehung nicht viel halten, besucht Eva eine jüdische Volksschule. Hier wird sie als einziges christliches Kind inmitten lauter jüdischer Kinder unterrichtet, auch in Hebräisch. Die Familie lebt in beengten Wohnverhältnissen. Die Küche ist Wohnzimmer und zugleich Evas Schlafzimmer, abgetrennt nur durch ein paar Decken. Die Gespräche der Erwachsenen begleiten sie in den Schlaf.

Künstlerin und Ratgeberin

Schon früh zeigt Eva von Rossen Neigung zu spirituellen Fragen. In ihrem Horoskop aus den 40er Jahren heisst es:

„Die Geborene wird in ihrer Seelenwelt eher zu einem Aufstieg kommen als in der Außenwelt. Zumindest wird das Innere bei ihr immer weiter sein als das Äußere und nicht der äussere Lebenserfolg den inneren Wert überstrahlen… Man darf auf Grund der Gesamtstruktur des Horoskopes sagen, dass die Geborene die innere Begabung und die geistige Aufschwungkraft hat, um den Gottesweg der Mystiker zu gehen.“

In der Nachschau hat das Horoskop Recht behalten. Eva von Rossen wird sich ihr Leben lang mit Pendeln, dem I-Ging oder dem Tarot beschäftigen. Natürlich spielt auch hier die Kunst eine Rolle, denn es ist nicht irgendein Kartenset, das sie verwendet, sondern ein sorgsam im roten Lederetui verwahrtes, von ihr selbst mit Feder und Tusche gezeichnetes und mühsam ausgeschnittenes Kartenset, auf denen die Symbole für Streit, Glück in der Liebe oder Erfolg im Beruf durch den langjährigen Gebrauch allmählich verwischen und nur von ihr selbst noch erkannt und interpretiert werden können. Je älter Eva von Rossen wird, desto mehr suchen Freunde und Familienmitglieder Rat bei ihr, denn oft genug trifft sie mit ihren Deutungen ins Schwarze.

Umzug an den Ammersee

1934 zieht die Familie von Hildesheim nach Bayern an den Ammersee. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war dem Vater Felix das Leben in der Stadt zu riskant geworden. Im Haus des Malers Heinrich von Schweinitz in Riederau findet die Familie ihr erstes Domizil. Noch viele Jahre später erzählt die Malerin mit leuchtenden Augen davon, wie überwältigt sie von ihren ersten Eindrücken von der Landschaft am Ammersee war. Das Westufer des Ammersees entspricht mit seiner Mischung aus bäuerlicher Kultur und Land-Bohème in vielem der Lebensart der zugereisten Familie. Vater Felix Otto von Rossen wird Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Dießener Kunst ADK. Zusammen mit ihrer Mutter beginnt Eva von Rossen in Dießens Keramik-Manufaktur zu arbeiten. Dort lernt sie auch die Dießener Malerin Barbara Schmidt kennen, mit der sie bis zu ihrem Tod freundschaftlich verbunden bleibt. Bald zieht Eva von Rossen mit den Eltern ins Kujawa-Haus nach Dießen/Sankt Georgen. Das Haus am Kirchsteig war 1905 von der Landsbergerin Anna Kujawa als Wohn- und Atelierhaus für mittellose Künstler gebaut worden und beherbergt über die Jahre eine Reihe wichtiger Ammerseekünstler wie Arno Fischer, Ernesta von Damm und Hans Seelos.

Bei Kriegsausbruch ist Eva von Rossen 18. Sie wird eingezogen und arbeitet als Funkerin im Fliegerhorst Penzing bei Landsberg. Dem Bund Deutscher Mädel tritt sie nie bei. Einer drohenden Versetzung nach Italien entkommt sie durch eine Krankschreibung.

Kujawa-Haus

Im Kujawa-Haus gründet sie 1947 mit Heinrich Bauer ihre eigene Familie. 1947 wird Sohn Christian geboren, 1951 folgt Agnes und 1955 Matthias. Die Kinder nehmen den Namen des Vaters an. Um die drei zu ernähren, beginnt Eva von Rossen Bücher zu illustrieren. Ihre Neigung zu skurrilen und märchenhaften Motiven weisen den Weg. Für den Thomas Verlag in Kempen entstehen zwischen 1948 bis 1951 Illustrationen zu Grimms und Andersens Märchen. Aus der Mitte der 40er Jahre stammt auch ein Bildmotiv, das Eva von Rossen später oft variiert. Es ist „Der Träumer“, ein Mann, der aus dem Traum erwacht und durch sein Dachfenster zum Mond blickt. Neben dem „Träumer“ gibt es eine Reihe anderer nächtlich-unheimlicher Motive, in denen fast schlangenartig dünne Figuren zu sehen sind. Sie reiten in wilder Jagd zu Pferde oder sitzen meditierend am Lagerfeuer unter einem kahlen Baum. In späteren Jahren treten mehr humoristische Elemente in diese Werke, ohne den mystischen Gehalt zu schmälern.

Umzug nach Landsberg

1957 zieht Eva von Rossen mit Mann und drei Kindern nach Landsberg. Hier findet die Künstlerin Kontakt zur Künstlergilde Landsberg-Ammersee, in der sie schon 1946 ausgestellt hatte. Sie malt nicht nur Kulissen für die Aufführungen am Landsberger Stadttheater, sondern entwirft auch Werbepostkarten für den Kurort Bad Wörishofen, die jedoch nie gedruckt werden. Die Entwürfe versieht sie mit selbst gedichteten Versen, die ihr Schreib- und Dichttalent erkennen lassen, das auch in ihren Reisetagebüchern oder den Briefen an Kinder und Enkel aufblitzt. Die Tagebücher behandeln einerseits die Großartigkeit der Natur, andererseits die Schwächen der Menschen, die in Erwartung grosser Erlebnisse, aber eingeschränkt durch ihre kleinlichen Bedenken, nur Enttäuschung erfahren. Jedes ihrer Tagebücher ist Seelentherapie und Anklage zugleich, ironisch zwar, aber immer auch versöhnlich - ganz so wie es ihrem Charakter entspricht.

Zeichenlehrerin

Anfang der 70er Jahre unterrichtet Eva von Rossen einige Jahre Schülerinnen der Mädchenrealschule Landsberg im Zeichnen. Ihre Schülerinnen haben erstaunliche Erfolge, gewinnen mehrere Auszeichnungen bei Landes- und Bundeswettbewerben und einige pflegen später fast freundschaftliche Beziehungen zu ihrer ehemaligen Lehrerin.

Landsberg in der Kunst Eva von Rossens

In den jährlichen Ausstellungen der Künstlergilde Landsberg-Ammersee wird die Kunstsammlerin Elfriede Neumeyer auf Eva von Rossen aufmerksam. Sie gibt bei ihr eine Reihe von Landsberg-Motiven in Auftrag. So entstehen unter anderem Bilder vom Lechwehr, dem Marktplatz oder dem Weihnachtsmarkt auf dem Hellmair Platz. Ein herausstechendes Motiv mit dem Titel „Im Klostergarten“ ist eines der größten Bilder, die Eva von Rossen je malt. Es zeigt den Klostergarten hinter der Lechmauer aus der Vogelperspektive: Im Hof wandelnde Klosterschwestern, eine in die Lektüre eines Buchs vertieft, eine andere Tauben fütternd. Unter den vielen Landsberg-Motiven, die es von dieser Stadt am Lech gibt, ist dieses Bild einmalig, hält es doch eine Szene fest, die schon zum Zeitpunkt der Entstehung Vergangenheit war, weil das Kloster bereits aufgelöst worden war. Es ist als einziges Landsberg-Motiv noch im Besitz der Familie. Charakteristisch für all diese Bilder ist ihre zeitlose Anmutung. Lebendig werden sie, weil die Künstlerin szenisch arbeitet und jeder Figur eine Rolle zuweist, die keineswegs zufällig ist. Oft gehen die Personen auf lebende Vorbilder zurückgeht, die nur der Künstlerin und einigen Vertrauten bekannt sind. Auch vor sich selbst macht Eva von Rossen nicht Halt. Immer wieder taucht auf ihren Bildern eine spitznasige Frau im Kopftuch auf, die ihr nicht nur zufällig ähnelt. In den figürlichen Elementen gibt die Malerin ihren Bildern ein unverwechselbares Element, das dem Stadtporträt immer auch einen Spiegel des menschlichen Daseins vorhält.

Durch ihre Freundschaft mit dem Künstler und Zeichenlehrer Konrad Bügelmeier, der sich in den 70er Jahren für eine behutsame Sanierung der Landsberger Altstadt einsetzt, und durch ihre eigene Arbeit an Landsberger Motiven wird ihr Gefühl für das empfindliche Stadtbild von Landsberg sensibilisiert. Eva von Rossen nimmt aktiv an Demonstrationen gegen den Chemiekonzern Eli Lily teil, malt Transparente und kann sich noch in hohem Alter über den Ausverkauf des Landsberger Frauenwaldes an den Sägekonzern Klausner (mittlerweile Ilim), oder die Fassaden-Gestaltung am Eingang des Bekleidungshauses H&M erzürnen.

Illustratorin

In den letzten Jahren beschränkt sich Eva von Rossen auf kleinere Formate. Sie verwirklicht Aufträge zu Buchillustrationen, die sich meist mit der Landsberger Lokalgeschichte befassen oder persönliche Kindheitserinnerungen zum Thema haben. So illustriert sie Herbert Regeles Gedichtband „Erntedank“ und Rolf-Jürgen Langs „Der Weihnachtskartoffelsalat - Geschichten mit Luisa zur Weihnachtszeit“. (Beide erscheinen im EOS Verlag St. Ottilien) In ihren Federzeichnungen, die sie häufig mit Buntstiften koloriert, kommentiert die Künstlerin aber auch Zeiterscheinungen. In Illustrationen wie „Der Guru“, „Zankapfel“ oder „Die Erfolgsleiter“ geißelt sie mit einem Schmunzeln das oberflächliche Streben nach Erfolg und die Verführbarkeit der Menschen durch Scharlatane. Selbst suchte Eva von Rossen nie nach gesellschaftlicher Anerkennung. Als das Stadtmuseum zum 70. Jubiläum der Künstlergilde kein einziges ihrer Bilder ausstellte, obwohl sie eines der ältesten Mitglieder der Gilde war, verlor sie kein Wort darüber. Künstlerische Eitelkeit war ihr nicht nur fremd, sie machte sich sogar lustig darüber. Eine ihrer Tuschzeichnungen, „Der Künstler erklärt sein Werk“, karikiert den Künstler mit wehenden Haaren, wie er bedeutungsvoll sein auf der Staffelei stehendes Bild bespricht, das lediglich aus einem Klecks besteht.

Am 27. März 2010 stirbt Eva von Rossen nach längerer Krankheit, hochgeachtet und umgeben von vielen Freundinnen und Freunden. Mit ihr geht eine produktive und vielseitige Landsberger Künstlerin, die über großes handwerkliches Können verfügt, ihre Kunst aber nie in den Vordergrund stellt. Ihre Kunst ist Ausdruck einer Persönlichkeit, die bei allem Streben nach Harmonie die Menschen kritisch betrachtet. Mit ihrer Kritik hielt sie auch nicht hinter dem Berg, blieb aber immer liebevoll.